Stellungnahme zum Gemeindewirtschaftsrecht

3.3.2022

Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen zum „Gesetz zur Einführung digitaler Sitzungen für kommunale Gremien und zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften“ (Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 17/16295)

 

Sehr geehrter Herr Kuper,

zu dem o.g. Gesetzentwurf nimmt HANDWERK.NRW e.V. Stellung, da im Gesetzesentwurf Regelungen  zum  kommunalen Wirtschaftsrecht enthalten sind, durch die das Handwerk der Natur der Sache nach  wesentlich betroffen ist.

 

I. Grundsätzliches

Das nordrhein-westfälische Handwerk hat sich mit den Problemen der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen wiederholt befasst – so in einem Beschluss „Partnerschaft zwischen Handwerk und Kommunen stärken – Klare Grenzen für die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen setzen!“ aus dem Jahre 2020  und zuletzt im November 2021 im Kontext  des Beschlusses „Nachhaltigkeit – Bildung – Wachstum. Erwartungen zur  Landtagswahl  2022“.  Das Handwerk bekennt sich zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zu kommunalen Unternehmen. Es ist aber zugleich elementar in seinen Interessen berührt,  wenn kommunale Unternehmen auf Märkte des Handwerks übergreifen oder wenn durch die Gemeindeordnung die Tätigkeitsbereiche verschoben oder wichtige Kontrollverfahren der Kommunalaufsicht abgeschwächt werden. Das Gemeindewirtschaftsrecht ist daher wesentlich mittelstandsrelevant.

Es ist daher unverständlich und sehr bedauerlich, dass die Landesregierung vor der Kabinettsbefassung kein Clearingverfahren zur Klärung der Mittelstandsverträglichkeit für den vorliegenden Gesetzentwurf durchgeführt hat. Dies wäre gemäß Mittelstandsförderungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen erforderlich gewesen.

Entgegen seines Titels enthält das Gesetz nämlich Regelungen zur wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen, die wesentlich mittelstandsrelevant  sind. Es ist deshalb unangemessen, dass in einem für das Handwerk so wesentlichen Politikbereich eine breite und zeitlich angemessene Beteiligung nicht stattfinden wird. Leider hat auch der federführende Ausschuss zu der Anhörung lediglich Vertreter der Kommunen und  deren Unternehmen eingeladen, aber keinen Vertreter der von den geplanten Neuregelungen negativ betroffenen Wirtschaft.

Das Handwerk beobachtet die Ausdehnung der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen mit großer Sorge, weil es dabei immer wieder zu Grenzüberschreitungen kommt, in denen Märkte des Handwerks und  anderer privatwirtschaftlicher Unternehmen von Aktivitäten kommunaler Unternehmen durchdrungen werden. Zunehmend geschieht dies auch durch Unternehmen, an denen die Kommunen nur noch mittelbar beteiligt sind. Dabei geht es zum einen um die Frage der Zulässigkeit der Betätigung an sich, zum anderen auch um die Frage, ob bei an sich zulässigen Betätigungen die  Belange des Handwerks hinreichend  berücksichtigt werden. Letzteres ist insbesondere in Fällen des § 107a  GO von erheblicher praktischer Relevanz. Viele Probleme ergeben sich dabei im Laufe der Geschäftstätigkeit von bestehenden Unternehmen oder Beteiligungen, ohne  dass dies zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine Beteiligung verlässlich abgeschätzt werden kann. Umso wichtiger ist daher, dass die Räte umfassend und fortlaufend über die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen informiert sind und dass die Kommunalaufsicht umfassend informiert ist und  auf dieser Basis die Einhaltung des gesetzlichen Rahmens überwachen kann.

Vor diesem Hintergrund sind dem Handwerk folgende Punkte wichtig:

  • Strikte und  wirksame Beschränkung der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen auf Bereiche, in denen sie entsprechend § 107 GO NRW zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben erforderlich ist
  • Stärkung des  Subsidiaritätsprinzips im Gemeindewirtschaftsrecht mit einer Begründungspflicht, dass die wirtschaftliche Betätigung im Einzelfall besser geeignet ist als die privatwirtschaftliche Initiative
  • Etablierung  einer Clearingstelle Kommunalwirtschaft bei der Landesregierung, um sich regelmäßig über strittige Fälle und Auslegungsprobleme des Gemeindewirtschaftsrechts auszutauschen
  • Etablierung einer einheitlichen Aufsichtspraxis, die wettbewerbsfeindlichen Fehlentwicklungen (z.B.  Ladeinfrastruktur, Mobilitätsdienstleistungen, gebäudeinterne Wartungsdienstleistungen) entgegentritt
  • Verbindliche Vorgaben des Landes für ein transparentes Beteiligungsmanagement in den  Kommunen, sowohl in Bezug  auf finanzielle Risiken als auch auf die Beachtung der Zulässigkeitsgrenzen der wirtschaftlichen Betätigung
  • Begrenzung der Gewinnabführung aus kommunalen Unternehmen an deren Eigentümer
  • Verzicht auf den Aufkauf von Handwerksunternehmen durch landeseigene oder kommunale Unternehmen.

Diese Anliegen des Handwerks spiegelt der vorliegende Gesetzentwurf nur unzureichend wider. Er widerspricht ihnen in seiner Regelungsabsicht grundlegend. Er schafft zwar an einigen Stellen (§§ 107  und  107a  GO) mehr Transparenz in Bezug  auf Marktanalysen, schwächt aber  hinsichtlich  der  Anzeigepflicht  für mittelbare  Beteiligungen  (§ 115  GO)  die Wirksamkeit  der  Kommunalaufsicht empfindlich. Er eröffnet die Möglichkeit, dass sich unter dem Radar der Kommunalaufsicht Betätigungen kommunaler Unternehmen und  ihrer  Beteiligungen auf Bereiche ausweiten, die nach  den materiellen Regelungen der Gemeindeordnung nicht zulässig sind. Die diesbezüglichen Regelungen werden handwerks- und mittelstandsfeindlich wirken.

 

II. Zu dem Gesetzentwurf im Einzelnen

G. Finanzielle Auswirkungen auf die Unternehmen und die privaten Haushalte (S. 4)

Es ist  aus unserer Sicht nicht zutreffend, dass der  Gesetzentwurf „keine“  finanziellen Auswirkungen auf die Unternehmen hätte. Negativ betroffen wären alle Unternehmen, auf deren Kosten die wirtschaftliche  Betätigung kommunaler Unternehmen oder  ihrer Beteiligungen  ausgedehnt würde, weil sie infolge des Gesetzentwurfs weniger konsequent durch die Kommunalaufsicht erfasst und ggfs. geprüft würde. Die Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch  nicht zulässige Übergriffe der  wirtschaftlichen Betätigung hat  erhebliche finanzielle Auswirkungen auf Unternehmen und  – mittelbar durch die Schwächung des Wettbewerbs und der privatwirtschaftlichen Initiative – auf die privaten Haushalte.

Nr. 15: Einfügung in § 107 Absatz 5 Satz 2 (S. 29 und 73)

Nach unseren Erfahrungen ist die Qualität der Marktanalysen sehr unterschiedlich. Dies gilt hinsichtlich der Zulässigkeit an sich (§ 107 Absatz 1 Zi. 1), der Leistungsfähigkeit der Gemeinde (Zi. 2), der Subsidiaritätsprüfung (Zi. 3) und bisweilen auch  hinsichtlich der Frage, welcher Fallgruppe der  §§  107  und  107a  GO die angestrebte Betätigung  überhaupt zuzuordnen ist. Auch die Qualität des Dialogs mit dem Handwerk ist in den Kommunen sehr unterschiedlich.

Dabei  ist  unserem Verständnis nach gerade die besondere Bedeutung der  Marktanalyse als Instrument der Transparenz und notwendige Begründung für das „privatwirtschaftliche“ Handeln einer Kommune nicht zu unterschätzen. Sie hilft in einem Feld der gesetzlich vorgeschriebenen unternehmerischen Zurückhaltung, die Hürden aufzuzeigen und der Kommune ihr unternehmerisches Tätigwerden zu begründen.

Jede Erweiterung und Ergänzung, die das Instrument der Marktanalyse stärkt und konkreter ausgestaltet, ist im Ergebnis zu begrüßen. Es hilft zum einen, der Kommune ihr eigenes Handeln noch  intensiver darzulegen und zu reflektieren. Zum anderen verbessert es die Beteiligung des Rates, der bei einem  Quorum von einem Fünftel der Mitglieder die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister um eine Bewertung zu den abgegebenen Stellungnahmen bitten kann. Dies stärkt die Bedeutung der Marktanalysen der Kommune, und der Rat erhält durch die Bewertung der hierzu eingegangenen Stellungnahmen eine transparente Übersicht für die spätere Beschlussfassung.

Aus Sicht des Handwerks ist daher sehr nachdrücklich zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf für den Gemeinderat ein Minderheitsrecht für ein Fünftel seiner Mitglieder formuliert, um eine Bewertung des Bürgermeisters zu erhalten (a) oder eine eigene Stellungnahme anzukündigen (b) sowie mehr  Transparenz über nichtöffentlich getroffene Entscheidungen schafft (c).

Nr. 16: Einfügung in § 107a  Absatz 4 (S. 30 und 74)

Mit der Novellierung der o.g. Norm sollen die erhöhten Transparenzanforderungen (Nr. 15) auch auf die Fälle des § 107a GO angewendet werden. Insoweit kann an dieser Stelle ausdrücklich auf die vorangegangenen Ausführungen in der Sache verwiesen werden.

Zwar ist in den Fällen des § 107a  GO keine Subsidiaritätsprüfung gesetzlich erforderlich. Dennoch  ergeben sich in der Praxis zwei entscheidende Probleme, die wir näher ausführen möchten. Dem  Landesgesetzgeber war bei der Ausgestaltung der Norm im Jahre 2010 ausdrücklich wichtig, nur die „unmittelbar verbundenen Dienstleistungen“ im Zusammenhang mit der Strom-, Gas- und  Wärmeversorgung als  zulässig  anzusehen. Weitergehenden  Regelungsvorschlägen wurde seinerzeit ausdrücklich nicht gefolgt (Drs. 15/867). Zweitens hat der Landesgesetzgeber der Gemeinde auferlegt sicherzustellen, „dass in solchen Fällen die Belange kleiner Unternehmen, insbesondere  des Handwerks, berücksichtigt werden“. Auch dies muss gemäß § 107a Absatz 4 durch eine Marktanalyse und die Möglichkeit zur Stellungnahme für die örtlichen Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft geklärt werden.

In der Praxis sind diese Fälle nach  unserer Beobachtung von deutlich größerer Relevanz als die Fälle des § 107  GO.  Gerade der  innovative Technologiewechsel hin zu stärker datenbasierten Leistungen von Handwerk und Mittelstand wirft in der Praxis viele Fragen auf, die eine klare Trennung bei der  Leistungserbringung im Rahmen des § 107a  GO oftmals nicht zulassen. Zugleich stellen sich hier hinsichtlich der „Unmittelbarkeit“ und der „Berücksichtigung der Belange kleiner Unternehmen, insbesondere des Handwerks“ besondere Anforderungen an  Plausibilität und Abwägung der Argumentation. Deshalb müssen an dieser Stelle die Bedeutung der Marktanalyse  und  die  damit  einhergehende Stärkung des Begründungsaufwandes hervorgehoben werden.

Aus Sicht  des Handwerks in NRW ist  daher sehr zu unterstützen, dass die Transparenz- und Begründungspflichten,  die  gemäß Nr. 15 des Entwurfs für die Fälle  des § 107 GO  eingeführt werden, auch auf die Fälle des § 107a GO übertragen werden.

Nr. 17: Einfügung in § 115 Absatz 2 (S. 32 und 74)

Die beabsichtigte Einführung  eines weiteren Ausnahmetatbestandes in § 115  Abs. 2 S.  2 n.F., dem  zufolge keine Beteiligungen von unter  10 Prozent der Aufsicht mehr  anzuzeigen sind, sieht das Handwerk sehr kritisch.  Jede Öffnung und Erweiterung von  Ausnahmetatbeständen lässt Raum für einen Ausschluss mittelstandspolitischer Interessen. Gerade in diesem Bereich der mittelbaren Beteiligungen häufen sich Fälle, in denen kommunale Unternehmen Handwerksbetriebe übernehmen, sich an ihnen beteiligen oder  auf anderem Wege handwerkliche Leistungen erbringen. Dabei sind durchaus Versuche zu beobachten, solche Beteiligungen nicht nur zur Erbringung von Quasi-Eigenleistungen (mit entsprechend verringertem Vergabevolumen an Dritte) zu nutzen, sondern auch andere Aufträge zu übernehmen und damit in direkte Konkurrenz zu (Handwerks-)Unternehmen zu treten. Diese Vorgänge sollte daher grundsätzlich der Kommunalaufsicht bekannt sein, um für die Einhaltung der Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung Sorge tragen zu können. Die vorgeschlagene Regelung trifft daher auf eine klare Ablehnung in den  Landeshandwerksorganisationen in Nordrhein-Westfalen.

An dieser Stelle muss nochmals unterstrichen werden, dass das von der Landesregierung gewählte  Vorgehen, auf ein Clearingsverfahren  gemäß Mittelstandsförderungsgesetz  zu verzichten, und die Entscheidung des federführenden Ausschusses, die betroffene Wirtschaft nicht anzuhören, einen  hohen Zeitdruck erzeugen und es uns unmöglich machen, sich hierzu im Rahmen eines offenen Austausches differenzierter zu positionieren. Mögliche berechtigte Interessen der  Kommunen sind  weder  aus dem  Gesetzestext noch aus der Gesetzesbegründung nachvollziehbar. Eine Abwägung mit den  Interessen der betroffenen Wirtschaft erfolgt nicht. Die Begründung, dass die Maßnahme das Ziel verfolgt, „den administrativen Aufwand“ zu reduzieren, genügt unseres  Erachtens nicht, um die Kommunalaufsicht  aus ihrer Verantwortung zu entlassen, und wirft viele zusätzliche Fragen auf.

Schon jetzt sind gesellschaftsrechtliche und unternehmerische Weiterentwicklungen der einmal tätigen Unternehmen in § 107 GO NRW keiner weiteren Überprüfung durch  ein weiteres Verfahren  nach  Abs. 5 unterworfen. Mit der  beabsichtigten Neuregelung würde der Gesetzgeber ein Instrument der Aufsicht abgeben, sodass die Gefahr einer weiteren Ausdehnung der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen auf  unzulässige Bereiche entstünde. Dies kann im Ergebnis nur mittelstands- und handwerksfeindlich wirken.

Die Einführung eines solchen Ausnahmetatbestandes für die Anzeigepflicht in § 115  Abs. 2 für Beteiligungen mit unter  10 Prozent lehnt das nordrhein-westfälische Handwerk mit allem Nachdruck ab.  Wir appellieren an den Landtag, diese Regelung ersatzlos aus dem Entwurf zu streichen.

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