7. November 2024
Halbzeitbilanz der NRW-Landesregierung aus Sicht des Handwerks
Die Landesregierung aus CDU und Bündnis 90/Die Grünen ist seit Juni 2022 im Amt. Die Landesregierung sollte die zweite Hälfte der Wahlperiode für mutige und konsequente Reformen nutzen, die den Wirtschafts- und Bildungsstandort Nordrhein-Westfalen stärken. Wichtig bleibt auch, dass das Land Nordrhein-Westfalen über den Bundesrat mit einer Stimme als Wortführer für eine mittelstandsgerechte Wirtschafts- und Bildungspolitik aufritt.
Im Vergleich zur Bundespolitik wissen wir ausdrücklich zu würdigen, dass die Koalition auf Landesebene geräuschlos, pragmatisch und ohne Verwerfungen zusammenarbeitet. Das ist in Zeiten, in denen demokratische Parteien – egal ob in Regierungsverantwortung oder in Opposition – viel Vertrauen verloren haben, besonders wichtig.
I. Fortschritte und Innovationen in der Handwerks- und Mittelstandspolitik seit 2022
Einführung einer Meisterprämie
Es war eine gute Entscheidung, mit der „Meisterprämie“ all diejenigen zu entlasten, die erfolgreich eine Meisterprüfung abgelegt haben und dafür anders als Studierende viel eigenes Geld in die Hand nehmen mussten. Damit werden Qualifikationsanstrengungen belohnt und wird ein konkreter und pragmatischer Beitrag zur Führungskräftesicherung geleistet.
Einführung der Kleinen Bauvorlageberechtigung
Ausdrücklich begrüßt das Handwerk, dass in der Landesbauordnung endlich eine Kleine Bauvorlageberechtigung für Handwerksmeister eingeführt wurde.
Fachkräftesicherung
Es ist richtig, dass sich die Landesregierung von Beginn an die Fachkräftesicherung als Querschnittsthema auf die Fahnen geschrieben hat. Auch wenn man für durchgreifende Erfolge dabei einen langen Atem und finanzielle Mittel braucht, nehmen wir wahr, dass die Landesregierung pragmatisch, ressortübergreifend und ergebnisorientiert an einem schnelleren Übergang von Schule in Beruf und an einer besseren Integration von Zugewanderten in Qualifikation und Arbeitsmarkt arbeitet.
Bildungsstättenfinanzierung
Für die Stärkung der Ausbildung im Handwerk war es richtungsweisend, dass es seit 2017 in mehreren Schritten zu einem deutlichen Mittelzuwachs zur Finanzierung der handwerklichen Bildungsstätten gekommen ist. Uns ist durchaus bewusst, dass auf lange Sicht nicht alle bisherigen Standorte Bestand haben können und dass sich die Bildungslandschaft konsolidieren muss. Umso wichtiger ist es, dass die Standorte, die langfristig gesichert werden müssen, hervorragend ausgestattet sind und mit der technologischen Innovation in vielen Gewerken Schritt halten.
II. Nachholbedarfe und Defizite in der Handwerks- und Mittelstandspolitik seit 2022
Grundsteuer
Eine klare Fehlentscheidung ist das Optionsrecht für die Kommunen, bei der Grundsteuer Gewerbenutzungen mit differenzierten Hebesätzen stärker zu besteuern als Wohnnutzungen. Damit wurde die Option auf eine zweite Gewerbesteuer eingeführt. Viele Kommunen scheuen zwar zu Recht die rechtlichen Risiken differenzierter Hebesätze, viele von ihnen entscheiden sich dafür, die Grundsteuer insgesamt anzuheben oder stattdessen die Gewerbesteuer zu erhöhen.
Grunderwerbsteuer
Es ist nach wie vor bedauerlich, dass die Landesregierung keine Senkung des Grunderwerbsteuerhebesatzes vorgenommen hat und Nordrhein-Westfalen damit Höchststeuerland bleibt. Dabei wäre eine Absenkung des Hebesatzes der unbürokratischste und schnellste Weg, Baukosten zu senken.
Bürokratieabbau
Derzeit gibt es in der Landesregierung keine klar zuweisbare Verantwortlichkeit und Zuständigkeit für Bürokratieabbau mehr, wie dies bis 2021 mit der Stabstelle „Entfesselung“ gewährleistet war. Auch deshalb mangelt an durchgreifenden Erfolgen beim Bürokratieabbau, die die Bürokratielast für Unternehmer wirksam reduzieren und zu einer effizienteren Staatstätigkeit führen könnten.
Infrastruktur
Die Wirtschaft ist auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen. Es ist richtig, dass Nordrhein-Westfalen mehr Geld in die Erneuerung der Infrastruktur für Verkehr und Energie setzen muss. Das Land Nordrhein-Westfalen wird im Haushalt stärkere Prioritäten auf Infrastruktur, Bildung und Integration legen müssen und kreative Wege eröffnen müssen, um mehr Kapital für dringende Infrastrukturprojekte zu mobilisieren. Zudem muss das Land die Planungen für die Verkehrsinfrastruktur forcieren, damit verfügbare Mittel des Bundes auch für baureife Projekte abgerufen werden können.
III. Erwartungen an die zweite Hälfte der Wahlperiode
1. Zukunftsstrategien des Landes mit und für das Handwerk entwickeln
Für die zweite Hälfte der Legislaturperiode hat die Landesregierung weitere Landesstrategien angekündigt, so etwa eine Kreislaufwirtschaftsstrategie und eine Weiterentwicklung der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie. Beide Themenfelder sind für Handwerksbetriebe von erheblicher Relevanz: als Anbieter nachhaltiger, kreislaufwirtschaftsfähiger Produkte, Dienst- und Werkleistungen sowie als Pflichtige im Wertschöpfungsprozess. Handwerksbetriebe können erheblich zur Zielerreichung beitragen. Deswegen fordern wir, dass die Landesregierung das Handwerk in der Vorbereitung aktiv beteiligt und die Strategien die betrieblichen Perspektiven und Potenziale inhaltlich angemessen abbilden.
2. Berufsstartkompetenzen verbessern
Nachdem alle Schulleistungsuntersuchungen bestätigen, dass die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in NRW abnehmen und die Risikogruppe deutlich steigt, die nach der Schule nicht anschlussfähig an des Bildungssystem sind, bedarf es umfangreicher Veränderungen in der vorschulischen und schulischen Bildung, um den Bildungs-Outcome aus dem allgemeinbildenden Schulsystem deutlich zu steigern. Ein mehr an Berufsstartkompetenzen ist dringend notwendig, um den Nachwuchs in anerkannten Berufen ausbilden zu können.
3. Berufseinsteiger unterstützen
Aufgrund mangelnder Ausbildungsreife vieler Schulabgängerinnen und Schulabgänger wächst der Bedarf an ausbildungsunterstützenden und -sichernden Maßnahmen. Um deren Erfolg und Praktikabilität zu sichern, sollte die Landesregierung darauf hinwirken, dass die Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit zur Unterstützung lernschwacher Auszubildender (AsA-flex) stärker an den Berufskollegs implementiert werden und ein zusätzlicher Lernort vermeiden wird.
4. Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung herbeiführen
Es ist richtig, dass sich die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt hat, die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung voranzutreiben. Wir setzen darauf, dass dieser Grundsatz rechtlich verankert wird. Aus einem solchen programmatischen Bekenntnis müssen dann auch messbare, konkrete Konsequenzen gezogen werden. Auch in Nordrhein-Westfalen besteht nach wie vor ein großes Ungleichgewicht bei der Finanzierung der Bildungsinfrastruktur und bei der vergütungsmäßigen Anerkennung von beruflicher und akademischer Bildung.
5. Auskömmliche Finanzierung der Überbetrieblichen Unterweisung sicherstellen
So richtig und wichtig es ist, dass die Landesregierung auf langjährige Forderungen des Handwerks eingeht und die investive Förderung der Berufsbildungsstätten deutlich ausweitet, so richtig und wichtig bleibt die auskömmliche Finanzierung der Überbetrieblichen Unterweisung. NRW möchte und muss Berufsbildungsland Nr. 1 werden, um dem Fachkräftemangel aktiv entgegenzutreten.
6. Azubi-Ticket attraktiver machen
Die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung muss auch für Auszubildende konkret erfahrbar werden. Studierende in NRW kommen in den Genuss des deutlich preisreduzierten Deutschland-Semestertickets. Azubis haben nach wie vor keinen Anspruch auf eine vergleichbare Reduzierung. Das Land sollte prüfen, wie es mit seiner Unterstützung gelingen kann, dass Azubi-Ticket und Deutschland-Semesterticket gleichermaßen preislich attraktiv sind.
7. Bürokratieabbau von zentraler Stelle aus vorantreiben
Die Landesregierung sollte ihre Ankündigungen zur Reduzierung von Berichtspflichten und zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren aller Art schnell und konsequent umsetzen. Zur Vermeidung von Bürokratie und Rechtsunsicherheit sollte das Land auf ein „Goldplating“ bei der Umsetzung von EU-Recht und Bundesrecht verzichten (z.B. im Naturschutzrecht). Es sollte auch an zentraler Stelle innerhalb der Landesregierung ein Verantwortlicher benannt werden, der mit starken Kompetenzen Anstrengungen zum Bürokratieabbau ressortübergreifend mit einem Sofortprogramm und einem mittelfristigen Kurswechsel vorantreiben kann.
8. Baukosten senken
Die Landesregierung hat mit der Novellierung der Landesbauordnung bereits wichtige Schritte zur Kostensenkung im Bausektor. Sie sollte dabei nicht stehen bleiben und im Wettbewerb mit anderen Bundesländern weitere Schritte unternehmen, z.B. Bauherren die Möglichkeit einräumen, sich für eine Fiktionsmöglichkeit ihrer Baugenehmigung zu entscheiden.
9. Clearingstelle Mittelstand stärken
Die Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag richtigerweise eine Stärkung der Clearingstelle Mittelstand in Aussicht gestellt. Hier sollten nun Taten folgen. Dazu gehört, Werkstattgespräche zu verstetigen und insbesondere ein Recht der Clearingstelle Mittelstand gesetzlich zu verankern, aus eigener Initiative Vorschläge zum geltenden Landesrecht zu machen. Daraus sind neue Impulse für Bürokratieabbau zu erwarten.
10. Landesentwicklungsplan novellieren
Auch die Wirtschaft braucht Wohnraum. Aber Gewerbeflächen sind in Nordrhein-Westfalen knapp und stehen in zunehmender Konkurrenz zu Flächenbedarfen für Wohnen und für Energieerzeugung. Umso wichtiger ist es, dass die Landesregierung zügig einen Vorschlag zur Novellierung des Landesentwicklungsplans vorlegt und dabei auch die Unsicherheiten beseitigt, die durch das jüngste OVG-Urteil zur letzten LEP-Novelle entstanden sind.
11. Energie sicher und bezahlbar machen
Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich auf einen sehr ambitionierten Weg gemacht, um aus der Braunkohle auszusteigen. Das Handwerk teilt dieses Ziel, aber Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation ist, dass der Kapazitätsausbau für erneuerbare Energien schnell genug gelingt und Speichertechnologien, H2-ready-Kraftwerke und Netzinfrastruktur aufgebaut werden. Nur dann bleiben die Energiepreise bezahlbar. Nordrhein-Westfalen muss sicherstellen, dass Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt. Hierbei sollten insbesondere die aktuellen Vorschläge der Monopolkommission berücksichtigt werden. Die Förderung einzelner großer Unternehmen vermag den Wirtschaftsstandort auf Dauer nicht zu sichern. Vielmehr sollte sich die Landesregierung sich für ordnungspolitische Reformen im Energierecht einsetzen, damit politisch verursachte Energiekosten reduziert werden und Entlastungen allen Energiekunden zugutekommen. In der aktuellen Energie- und Wärmestrategie der Landesregierung bleibt dagegen unklar, ob nur einzelne Industriebranchen oder alle energieintensiven Unternehmen von steigenden Energiepreisen entlastet werden sollen.
12. Fernwärmemonopole ambitioniert beaufsichtigen
Im Zuge der kommunalen Wärmeplanung kann auch die Fernwärme einen spürbaren Beitrag zu einer sicheren Energieversorgung leisten. Die Landesregierung muss dabei die Wahlfreiheit der Verbraucher gewährleisten und die Verbraucher im Rahmen der Monopolkontrolle stringenter als bisher vor überhöhten Preisen schützen. Dazu sollte die Landesregierung in eigener Zuständigkeit und auch auf Bundesebene tätig werden, damit das natürliche Monopol Fernwärmeversorgung einer funktionierenden Aufsicht unterstellt wird.
13. Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen eindämmen
Wir erleben derzeit, dass einige Stadtwerke Handwerksunternehmen übernehmen und in dezentrale Märkte des Handwerks eindringen. Die Landesregierung sollte diesen Entwicklungen nicht weiter Vorschub leisten, sondern die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen bei der Energie- und Wärmeversorgung auf die netzgebundenen Versorgungsleistungen beschränken.
14. Mobilität praxisgerecht weiterentwickeln
Mobilität muss auch aus Sicht des Handwerks insgesamt effizienter und emissionsärmer werden. Das Handwerk bleibt auf den Individualverkehr angewiesen, um den Zugang zum Kunden zu gewährleisten. Deshalb ist wichtig, dass es praktikable und bedarfsgerechte Lösungen bei den Handwerkerparkausweisen und bei Stellplätzen gibt, um dem Handwerk die Fahrt in Quartiere und die Arbeit vor Ort zu ermöglichen. Konkret sollte das Land sich weiter auf Bundesebene dafür einsetzen, dass Stellplätze für Gewerbeparken auch in zentralen oder verkehrsreduzierten Quartieren rechtssicher eingerichtet werden können.
15. Keine zusätzlichen Belastungen für Betriebe schaffen
Die Betriebe des Handwerks benötigen ein Belastungsmoratorium. Die Landesregierung sollte deshalb auf eine baukostentreibende Rohstoffabgabe verzichten. Aus Sicht der handwerklichen Arbeitgeber darf es auch bei der angekündigten Überarbeitung des Tariftreue- und Vergabegesetzes nicht zu zusätzlichen bürokratischen Belastungen kommen.