Beschluss des Handwerksrats: Verkehrspolitik

9.11.2023

Erreichbarkeit sichern, kommunalen Gestaltungsspielraum stärken! Für eine mittelstandsgerechte und nachhaltige Verkehrspolitik

In vielen Kommunen in Nordrhein-Westfalen wird derzeit über eine nachhaltige Mobilitätspolitik diskutiert und werden Konzepte zur Gestaltung der kommunalen Verkehrswende beschlossen. Ziel dieser Vorhaben ist eine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs zugunsten des Umweltverbunds und eine Verlagerung des ruhenden Verkehrs vom öffentlichen in den privaten Raum. Eine Verbesserung der Verkehrssituation und eine klimaschonende und stadtverträgliche Verkehrspolitik liegen auch im natürlichen Interesse des Handwerks.

Handwerksbetriebe engagieren sich zunehmend für eine nachhaltige Weiterentwicklung der eigenen Mobilität – beispielsweise durch den Einsatz von E-Mobilität, kleineren Fahrzeugtypen oder Lastenfahrrädern. Dafür benötigen sie maßgeschneiderte Lösungen, die zum Gewerk, zum Standort und zur Unternehmensphilosophie passen. Die Handwerksorganisationen unterstützen Betriebe – etwa über Mobilitätspartnerschaften oder im Rahmen des Mobility Hub Handwerk – beim Umstieg und bei der Gestaltung der politisch erforderlichen Rahmenbedingungen.

Handwerke haben ein erhebliches Mobilitätsbedürfnis. Das gilt für den städtischen wie für den ländlichen Raum. In vielen Einsatzbereichen sind sie für den Transport von Material und Werkzeug auch weiterhin auf Nutzfahrzeuge angewiesen. Gerade in Städten braucht es intelligente Lösungen und eine gleichrangige Betrachtung aller Verkehrsträger, damit die Erreichbarkeit aller Quartiere für gewerbliche Verkehre gewährleistet bleibt und notwendige Stellplätze gesichert werden. Dies ist erforderlich, damit das Handwerk auch weiterhin seiner wichtigen Versorgungsfunktion für die Bevölkerung nachkommen und seinen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende leisten kann. Übergeordnetes Ziel muss die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Städte und die Gewährleistung von nachhaltiger und effizienter Mobilität sein. Das Handwerk ist überzeugt, dass die Kommunen im Sinne der Subsidiarität möglichst große Gestaltungsspielräume zur individuellen Umsetzung ortsspezifischer Verkehrsmaßnahmen brauchen. Vor diesem Hintergrund sollte das Land Nordrhein-Westfalen sich im eigenen Kompetenzbereich und beim Bund dafür einsetzen, den Kommunen mehr Freiheiten und Instrumente für das lokale Verkehrsmanagement zu geben.

Auf folgende Punkte kommt es dabei aus Sicht des Handwerks an:

  1. Im Straßenverkehrsgesetz muss mehr Handlungsspielraum für Kommunen geschaffen werden!
    Im Rahmen der aktuellen Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sollte sich das Land Nordrhein-Westfalen für eine Erweiterung der Ziele der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in § 6 Absatz 1 Satz 1 StVG einsetzen, um ein Fundament für Kommunen zu flexibleren Gestaltung des Verkehrs und des öffentlichen Straßenraums zu schaffen. Der Gesetzesentwurf des Bundeskabinetts sieht zwar vor, dass in Zukunft auch die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung beim Erlass neuer Verordnungen berücksichtigt werden können. Aus Sicht des Handwerks greift dieser Vorschlag aber zu kurz. Vielmehr sollten im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes auch die Zwecke der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen und die verkehrliche Erreichbarkeit von Gewerbebetrieben aufgenommen werden. Durch die Verankerung dieser grundlegenden Bedarfe gewerblicher Dienstleister im StVG wäre eine flexiblere Weiterentwicklung der nachgelagerten Straßenverkehrsordnung möglich, damit die kommunalen Straßenverkehrsbehörden die passenden Instrumente zur ortsspezifischen Straßenraumgestaltung im Sinne aller Nutzer zur Verfügung haben.
  2. In der Straßenverkehrsordnung muss ein Verkehrszeichen „Lade-/Servicezone“ eingeführt werden!
    Im Rahmen der anstehenden Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) sollte sich das Land Nordrhein-Westfalen für die Einführung des Verkehrszeichens „Lade-/Servicezone“ als laufende Nummer 15.1 in Anlage 2 StVO einsetzen. Damit bekämen die Kommunen die rechtssichere Möglichkeit, in Gebieten mit hohem Parkdruck spezielle Stellflächen für das „Liefern, Laden und Leisten“ einzurichten, die auf Liefervorgänge und gewerbliche Parkvorgänge im Rahmen von Dienstleistungs- und Serviceeinsätzen ausgerichtet sind. Dabei ist entscheidend, dass der Parkvorgang während der gesamten Dauer des Arbeitseinsatzes ermöglicht wird, da das Fahrzeug im Handwerk als „mobile Werkstatt“ und „fahrbares Ersatzteillager“ unmittelbar vor Ort verfügbar sein muss. Die Einrichtung solcher Parkzonen kann ein wesentlicher Baustein zur Sicherung der Funktionalität von Quartieren bei allgemeiner Reduzierung von öffentlichem Parkraum sein. Sie sollten ergänzend zu den erfolgreichen Handwerkerparkausweisen eingeführt werden, da die Zahl öffentlicher Stellflächen, die bislang mit dem Handwerkerparkausweis genutzt werden können, im Zuge des Stadtumbaus stark zurückgehen wird.
  3. Für Gewerbeparken sind erweiterte Ausnahmegenehmigungen in Bewohnerparkgebieten erforderlich!
    Der Gewerbe-Parkerlass des nordrhein-westfälischen Verkehrsministeriums vom 04.12.2015 regelt unter Punkt 5 (Ausnahmegenehmigungen für Gewerbe in Bewohnerparkbereichen), dass Kommunen Gewerbetreibenden, die in Bewohnerparkgebieten ansässig sind, eine ortgebundene Einzelausnahmegenehmigung zum Parken am Betriebssitz auf Basis von §46 StVO für ein Kraftfahrzeug erteilen können. Diese pauschale Regelung limitiert die nordrhein-westfälischen Kommunen auf die Erteilung einer einzigen Ausnahmegenehmigung pro Betrieb und schränkt ihren Handlungsspielraum stark ein. In vielen Fällen wird dies den Mobilitätsbedarfen der ansässigen Betriebe aber nicht gerecht und kann zu ihrer Verdrängung aus innerstädtischen Quartieren führen. Das Land sollte die quantitative Beschränkung des Erlasses daher aufheben, damit die kommunalen Straßenverkehrsbehörden flexible und individuelle Lösungen zur Vergabe von Ausnahmegenehmigungen in Abstimmung mit den lokalen Akteuren finden können. Wir begrüßen ausdrücklich die Bundesratsinitiative der Länder Hamburg und Nordrhein-Westfalen, die darauf abzielt, im Straßenverkehrsgesetz die Regelungen für das „Bewohnerparken“ zum „Quartiersparken“ zu erweitern. Damit würde der Bedeutung des ortsansässigen Mittelstands für die nachhaltige Quartiersentwicklung besser Rechnung getragen.
  4. Die Antrags- und Genehmigungsverfahren zum Einrichten von Baustellen müssen vereinfacht und beschleunigt werden!
    Die Unternehmen des Bau- und Ausbaugewerbes müssen an Baustellen regelmäßig Arbeitsgeräte und Materialien wie Kräne oder Container aufstellen. Dabei ist es häufig erforderlich, Bürgersteige oder Straßen vorübergehend zu sperren. Dies gilt nicht nur für langfristig planbare Vorhaben, sondern auch für dringliche Einsätze, wie sie zum Beispiel zur Beseitigung von Schäden nach außergewöhnlichen Wetterereignissen immer häufiger erforderlich werden. Hierfür müssen die Antragsverfahren vereinfacht werden und die Bearbeitungszeiten in den Kommunen beschleunigt werden, insbesondere für kurzfristige Baustellen.
  5. Wir brauchen mehr Tempo bei der Modernisierung unserer Verkehrsinfrastruktur!
    Schlaglöcher, marode Brücken, Verkehrsnadelöhre, Lücken in der Verkehrsinfrastruktur Schlaglöcher, marode Brücken, Verkehrsnadelöhre, Lücken in der Verkehrsinfrastruktur und unzureichende Ladeinfrastruktur belasten auch viele Handwerksbetriebe. Wir müssen in den kommenden Jahren mehr Geld in die Hand nehmen, um unsere Verkehrsinfrastruktur zu sanieren und zu modernisieren, und wir müssen mehr Tempo machen bei der Planung, Genehmigung und Umsetzung von Bauvorhaben. Bürokratieabbau und Fachkräftegewinnung sind auch in dieser Hinsicht der Schlüssel zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts und zur Vermeidung von mobilitätsbedingten Klimafolgen.
  6. Wir müssen die Beschäftigten- und Auszubildenden-Mobilität durch einen attraktiveren ÖPNV stärken!
    Auch für das Handwerk ist die Mobilität von Beschäftigten und Auszubildenden ein wichtiger Standortfaktor. Hier kann ein besseres und attraktiveres ÖPNV-Angebot helfen, betriebliche Mobilität klimaschonender zu gestalten. Wir müssen daher in Zukunft einen größeren Fokus auf den Ausbau des ÖPNV-Angebotes legen, etwa durch die Erschließung von Gewerbegebieten in Randzeiten. Für Auszubildende sollte das Deutschland-Ticket deutlich verbilligt zu einem Preis von 29 Euro angeboten und damit das Azubi-Ticket als attraktive Marke gesichert werden. Auf jeden Fall müssen Auszubildende und Meisterschüler im Vergleich zu Studierenden ein gleichwertiges Angebot erhalten.
  7. Das Handwerk braucht Unterstützung für den Umstieg in klimaschonende Mobilität!
    Im Rahmen der geplanten Erweiterung der Förderung von Nutzfahrzeugen mit alternativen, klimaschonenden Anrieben und dazugehöriger Tank- und Ladeinfrastruktur muss das Handwerk stärker berücksichtigt werden. Für gewerbliche Nutzer muss eine Nachfolgeregelung für die Umweltprämie gefunden werden, um weiterhin eine unbürokratische und für kleine und mittlere Unternehmen geeignete Förderung für PKW und leichte Nutzfahrzeuge zu gewährleisten.
  8. Die Verkehrswende muss durch wissenschaftliche Erfassung der Mobilitätsbedarfe abgesichert werden!
    Für eine nachhaltige Verkehrswende müssen Mobilitätsbedarfe verschiedener Zielgruppen bekannt sein und darauf aufbauend Angebote entwickelt werden, die Menschen und Betrieben erlauben, ihre Mobilitätsverhalten effizient und umweltverträglich zu gestalten. Um den Umstieg im Handwerk konstruktiv zu begleiten, wäre ein Projekt zur Verkehrsforschung mit dem DLR wünschenswert, das – ähnlich dem Ansatz beim Projekt „Move Urban“ – durch Tracking von Mobilitätsverhalten ein realistisches Bild der Mobilitätsbedarfe ermittelt und darauf aufbauend Konzepte entwickelt. Ein solches Pilotprojekt sollte auch dazu dienen, das Handwerk stärker am Zielbildprozess zu beteiligen.