Beschluss des Handwerksrats

18.11.2022

Für Sicherheit, Wachstum und Klimaschutz.

Leitlinien der Energie- und Rohstoffpolitik aus Sicht des Handwerks

Beschluss des Handwerksrats vom 18. November 2022

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat viele Gewissheiten erschüttert, von denen sich die deutsche Außen-, Wirtschafts- und Klimapolitik bisher leiten ließ. Bundesregierung und Bundestag haben darauf reagiert: außenpolitisch durch humanitäre Maßnahmen, durch Zugang zu militärischer Hilfe und durch eine schrittweise verschärfte Sanktionspolitik gegenüber Russland, darüber hinaus auch mit Absprachen mit anderen Ländern zur Energieversorgung und durch innen- und wirtschaftspolitische Maßnahmen.

Es ist nicht unsere Aufgabe als Handwerksorganisationen, außen- oder sicherheitspolitische Grundentscheidungen der Bundesregierung zu bewerten. Wir müssen aber im Interesse unserer Mitglieder Erwartungen formulieren, wie unter diesen politischen Rahmenbedingungen die Energie- und Rohstoffstrategie unseres Landes aussehen muss. Denn viele Handwerksbetriebe spüren derzeit hautnah, welche massiven Auswirkungen gestiegene Energiepreise und wachsende Versorgungsrisiken auf sie haben. Viele Betriebe sind existentiell gefährdet, weil die Strom- und Gaspreise explodieren oder weil sie nach Auslaufen von befristeten Versorgungsverträgen erhebliche Schwierigkeiten beim Neuabschluss von Versorgungsverträgen bekommen.  

Zugleich sind sie in vielen Marktfeldern kompetent darin, Maßnahmen und Investitionen für mehr Energieeffizienz und mehr Ressourcenschonung zu ermöglichen, auf die es nun ankommt. Die deutlich gesteigerte Nachfrage in diesen Marktfeldern stellt für das Handwerk allerdings eine große Herausforderung dar.

Wir brauchen eine umfassende Strategie, die unsere Wirtschaftsordnung weniger erpressbar und fragil und gleichzeitig anpassungsfähiger und kreativer im Aufspüren und Umsetzen neuer Lösungen macht – auch im Hinblick auf den Klimaschutz. Auf folgende Punkte kommt es aus Sicht des Handwerks an:

I. Versorgungssicherheit langfristig gewährleisten! 

  1. Langfristige Versorgungssicherheit für Energie und Rohstoffe werden wir nur erreichen, indem wir die Abhängigkeit von unzuverlässigen Staaten konsequent reduzieren. Wir müssen Lieferketten und Wertschöpfungsketten diversifizieren und damit flexibler machen. Wir müssen lernen, uns auf Partner zu konzentrieren, die Handelsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit respektieren. 
  2. Die aktuelle Situation ist eine gewaltige Herausforderung für den Betrieb und die Netzstabilität der leitungsgebundenen Versorgungsinfrastruktur. Zur Versorgungssicherheit können deshalb auch dezentrale Lösungen wie PV-Anlagen beitragen, wenn die Einspeisung der dort erzeugten Energie gesteuert  wird und wenn die Tragfähigkeit der Netze für erneuerbare Energien ausgebaut wird. Insbesondere Wasserstoff bietet in der Industrie und weit darüber hinaus auf den Märkten des Handwerks viele Potentiale. Hierfür brauchen wir neben innovativer, umsetzungsorientierter Forschung auch eine Ertüchtigung der Infrastruktur. Daraus entsteht Wettbewerb, der das Versorgungssystem insgesamt stabiler, anpassungsfähiger und weniger fragil macht.
  3. Für eine erfolgreiche Transformation müssen wir auf Wettbewerb und Technologieoffenheit setzen. Die Ausdehnung der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen durch den Ausbau der Fernwärme oder bei der Ladeinfrastruktur wäre ein energie- und wettbewerbspolitischer Irrweg, insbesondere wenn dadurch die Wahlmöglichkeiten der Verbraucherinnen und Verbraucher beschränkt werden. Die jetzigen Herausforderungen sind kein Anlass, einer Ausdehnung der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand zulasten der Privatwirtschaft das Wort zu reden. Die Schwächung der unternehmerischen Privatinitiative durch eine Ausdehnung der öffentlichen Wirtschaft wäre den Zielsetzungen der künftigen Energieversorgungsstrategie nicht dienlich.
  4. Um Versorgungsstabilität zu erreichen und Produktionsprozesse in der gesamten Wirtschaft anzupassen, werden viele öffentliche und private Investitionen nötig sein. Es ist deshalb wichtig, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu überprüfen, zu beschleunigen und zu entbürokratisieren. Bestehende bürokratische Hürden müssen abgebaut werden – auch bei der Genehmigungspraxis für Fuel Switch, damit Anlagen beim Wechsel weg vom knappen und teuren Gas rechtssicher weiterbetrieben werden können.
  5. Die Reduzierung von Energieverbrauch und die nachhaltige Senkung von Energiekosten sind eine kurz- und langfristige Aufgabe. Regulatorische Rahmenbedingungen, die dem entgegenstehen, müssen systematisch auf den Prüfstand gestellt werden. Konkret gilt dies z.B. für die geltenden Abstandsregeln für Wärmepumpen im Außenbereich und die geltenden Abstandsregeln von PV-Anlagen, die sinnvolle Investitionen verhindern.
  6. Für alle Akteure ist es wichtig, dass einfache und verlässliche Förderstrukturen bestehen und die politischen Rahmenbedingungen für energierelevante Investitionen Planungssicherheit geben. Ein vielversprechender Weg wäre ein einfaches Anreizsystem mit Prämien für das Energieeinsparen.
  7. Eine mögliche Rationierung der Energieversorgung durch politische Vorgaben wirft schwerwiegende Fragen auf. Das Handwerk ist eng verflochten in Wertschöpfungsketten, von denen auch die sogenannte kritische Infrastruktur abhängt. Beispielsweise sind Krankenhäuser zwingend auf die Leistungen der Textilreiniger angewiesen. Dieser Verflechtung muss die Politik Rechnung tragen.

    II. Energie wieder bezahlbar machen!

  8. Preise, die Anreize für Verhaltensänderungen und Investitionen setzen, sind der bessere Weg zur Einsparung von Energie als Verbote und technologische Vorgaben. Trotz allem müssen Energie und Rohstoffe bezahlbar bleiben, um soziale Verwerfungen zu vermeiden. Die Absenkung von Energiesteuern und -abgaben, die derzeit etwa die Hälfte des Energiepreises ausmachen, wäre dafür der einfachste Weg.
  9. Die von Bundestag und Bundesrat beschlossene Reduzierung des Umsatzsteuersatzes auf Gas zumindest bis zum Frühjahr 2024 auf 7 Prozent senkt die Energiekosten für alle Verbraucher. Noch besser wäre eine generelle Absenkung der Energiebesteuerung, damit keine Fehlanreize zur stärkeren Nutzung von Gas und der oftmals auf Gasverbrennung setzenden Fernwärme gesetzt werden. So sollten die Steuersätze für Heiz- und Kraftstoffe sowie Strom auf das europäische Mindestmaß abgesenkt werden.
  10. Die Systematik von Steuern und Abgaben muss widerspruchsfrei und nachvollziehbar sein und alle Sektoren des Energieverbrauchs diskriminierungsfrei einbeziehen. Wir brauchen eine sektorübergreifende CO2-Bepreisung, die klare Signale setzt, anstelle einer unsystematischen und widersprüchlichen Energiebesteuerung. Bei Abgaben aller Art muss also hinterfragt werden, ob sie nur aus fiskalischen Motiven erhoben werden oder ob sie dem ordnungspolitischen Ziel dienen, externe Kosten der Ressourcennutzung in die Wirtschaftsrechnung der Marktakteure zu integrieren.
  11. Die explodierenden Preise für Strom und Gas belasten viele Handwerksunternehmen und ihre Beschäftigten massiv – direkt und indirekt. Es ist wichtig, dass diese Preisdynamik schnell eingedämmt wird. Eine gemeinsame Einkaufspolitik der EU für Gas ist dafür als möglichst marktkonforme Maßnahme anzustreben. In dieser besonderen Ausnahmesituation ist es zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung auch geboten, dass private und gewerbliche Verbraucher eine schnelle, gezielte und unbürokratische Entlastung bei den Kosten für Strom und Gas erhalten.  Allerdings können „Preisbremsen“ oder „Preisdeckel“ nicht die bestehenden Knappheiten auf dem Strom- und Gasmarkt überwinden oder die bestehenden Versorgungsrisiken eindämmen. Umso wichtiger ist, dass gleichzeitig eine verlässliche Perspektive für die Energieversorgung aufgezeigt wird.
  12. Damit der Strom- und Gaspreis dauerhaft sinkt, muss das Angebot bedarfsgerecht stabilisiert werden. Für eine Übergangszeit müssen die verfügbaren Potentiale aller Energieträger als Brückentechnologien herangezogen werden – auch jenseits der Erneuerbaren Energien, um insbesondere die teure Gasverstromung zu vermeiden. Die Bundesregierung hat hier erste richtige Schritte unternommen, muss hierbei aber noch konsequenter handeln.

    III. Den Mittelstand und die privaten Haushalte in der Krise entlasten!

  13. Flexibilität im Steuerrecht hilft Betrieben sofort, indem Ausgaben vermieden werden. Die vom Bundesfinanzministerium mit den obersten Finanzbehörden der Länder abgestimmte Regelung, Anträge auf Stundung und Änderung der Vorauszahlungen wohlwollend zu prüfen, ist positiv. Für viele kleine und mittlere Unternehmen ist es kurzfristig der einfachste und wirkungsvollste Weg, ohne unnötige Bürokratie die Stundung und Überprüfung von Vorauszahlungen zur Kapital- und Einkommensteuer im vereinfachten Verfahren zu ermöglichen. Die Gewinne, die bei der Festsetzung der Vorauszahlungen unterstellt werden, wird es in diesem und im kommenden Jahr nicht geben. Gegebenenfalls sollten hier weitere Verfahrensvereinfachungen vorgesehen werden. Gleiches gilt für die Gewerbesteuervorauszahlungen.
  14. Es ist wichtig, dass besonders stark betroffene Betriebe Zugang zu Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen erhalten. Hier sollte die NRW-Landesregierung ggfs. ergänzend zu Instrumenten des Bundes mit einem Härtefallfonds einspringen. Außerdem könnte die Neuauflage beschleunigter, weil verbürgter, Kreditvergaben Betrieben helfen. Die vom Bundesrat verabschiedete Verlängerung des Kurzarbeitergeldes kann ebenfalls Härten abfedern.
  15. Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung sich zu einem Belastungsmoratorium bekennt. Das muss bedeuten, dass sämtliche Gesetze vor Inkrafttreten einem „Krisencheck“ unterzogen werden, bei dem die Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen besonders im Fokus stehen müssen. Die Bundesregierung muss das Moratorium im eigenen Zuständigkeitsbereich konsequent umsetzen und sich dafür auch auf europäischer Ebene einzusetzen – zum Beispiel bei den angekündigten Nachweispflichten durch die EU-Taxonomie. Gleiches gilt für die Landesregierung.
  16. Bund, Länder und Kommunen sollten das Ziel der finanzpolitischen Tragfähigkeit nicht aus dem Auge verlieren. Denn die derzeitige Inflation ist auch Folge der jahrelangen Staatsverschuldung und der auf diesen Zweck ausgerichteten Geldpolitik gewesen. Ausgeglichene Haushalte und stabile Währung dürfen als Leitplanken wirtschaftlicher und sozialer Stabilität nicht aufgegeben werden.
  17. Deutschland ist stärker als andere Länder von der Inflation und der Rezession betroffen. Es muss deshalb seine Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft stärken, um Wege aus der Krise zu finden. Die Entlastung mittelständischer Unternehmen und der Beschäftigten durch eine Reform der Unternehmens- und Einkommensbesteuerung muss Bestandteil einer Reformstrategie für bessere Standortbedingungen sein.

    IV. Handwerk als Partner in der Energieversorgung stärken!

  18. In der Krisenbekämpfung müssen Wettbewerbsverzerrungen zulasten des Handwerks und der kleinen und mittleren Betriebe verhindert werden. Eine energieintensive Bäckerei darf nicht anders behandelt werden als ein energieintensives Industrieunternehmen.
  19. Die Handwerksbetriebe können durch niedrigschwellige Beratungsangebote für Verbraucher Verhaltensänderungen und Investitionsbereitschaft auslösen, mit denen der Energieverbrauch reduziert wird. Die Handwerksorganisationen haben mit der Landesregierung eine Initiative verabredet, um Beratungs- und Informationsangebote zu verstärken. Dafür müssen Förderprogramme geschaffen werden, die die Inanspruchnahme von Beratung attraktiver machen.
  20. Vertreter des Handwerks stehen bereit, sich auf kommunaler und regionaler Ebene in Bündnisse einzubringen, in denen viele unterschiedliche Akteure miteinander vereinbaren, Nachhaltigkeit im umfassenden Sinne in Energieversorgung, Mobilität und Stadtentwicklung zu ermöglichen.
  21. Nicht nur im Gebäudesektor kommt es darauf an, dass dezentrales Wissen um Umstände und Besonderheiten genutzt wird, um wirklich effiziente Lösungen zu ermöglichen: Welche energetischen Maßnahmen an Gebäudehülle oder Gebäudetechnik für ein konkretes Gebäude die besten sind, lässt sich nicht am politischen Reißbrett entscheiden, sondern muss im Einzelfall geprüft werden. Technologieoffenheit ist daher in allen Fragen der Energiewende von entscheidender Bedeutung.
  22. Von besonderer Bedeutung für das Gelingen der Energie- und Klimawende und für die Versorgungssicherheit ist die Gewinnung und Sicherung von Fachkräften. Das Handwerk bietet jungen Menschen gerade auch in den dafür relevanten Tätigkeitsfeldern chancenreiche Bildungs- und Karrierewege. Speziell für die klimarelevanten Berufe brauchen wir kurz- und mittelfristig zusätzliche Wege, um deutlich mehr geeignetes Personal für die Handwerksbetriebe zu erschließen. Die technologischen Anforderungen verlangen eine klare Qualitätsorientierung in der Qualifikation.
  23. Handwerk ist ein entscheidender Partner für die Transformation. Deshalb nützt es, das Handwerk auf allen Ebenen in den politischen Dialog zur künftigen Energieversorgungsstrategie einzubinden. Nur dann kann das Handwerk sein Wissen um Marktsituationen einbringen. Nur dann können die Belange der Betriebe in politischen Entscheidungen berücksichtigt werden.
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