#hum12 - Folge 27: Remy Hübschi

1. September 2023

#hum12 - Folge 27: Remy Hübschi

Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit von beruflicher und akademischer Bildung – Die bildungspolitische Strategie der Schweiz

Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung stärken, um den Fachkräftebedarf zu decken: Wie kann das gelingen? In der 27. Folge der digitalen Mittagspause des nordrhein-westfälischen Handwerks diskutierte HANDWERK.NRW-Präsident Andreas Ehlert diese und weitere Fragen mit Remy Hübschi, Abteilungsleiter für Berufs- und Weiterbildung und stellvertretender Direktor des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Die Schweiz, in der die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung bereits 2006 in der Verfassung verankert wurde, stehe, so Hübschi, angesichts des demographischen Wandels vor ähnlichen Herausforderungen wie Deutschland. Hinzu komme eine zunehmende Akademisierung, die auch vor den eidgenössischen Nachbarn nicht Halt mache: „Die öffentliche Wahrnehmung der Wertigkeit beruflicher Bildung ist unter Druck, weshalb auch wir reagieren müssen.“ Die Schweiz begegnet dieser Herausforderung mit Erfolg – zwei von drei Schülern treten laut Hübschi derzeit in den berufsbildenden Zweig über, wodurch der Skill-Mix erhalten bleibe, der der Wirtschaft einen komparativen Vorteil sichere. Zudem setze die Schweiz bei der Meisterqualifikation auf eine konsequente Subjektförderung anstelle der in Deutschland üblichen Förderung der Bildungsstätten.

Ein Grund für die Stärke des schweizerischen Bildungssystems dürfte außerdem seine hohe Durchlässigkeit sein. So bietet die berufliche Grundbildung einen Einstieg zu verschiedenen tertiären Abschlüssen. Besonders hervorzuheben ist die Berufsmaturität, die die berufliche Grundbildung um eine erweiterte Allgemeinbildung ergänzt und zu einem Studium an einer Fachhochschule berechtigt. Die Durchlässigkeit des Systems helfe laut Hübschi auch Menschen mit Migrationshintergrund und anfänglich geringen Sprachkenntnissen, den Übergang zu einem tertiären Abschluss zu schaffen, indem sie Weiterqualifikationsmöglichkeiten zu einem späteren Zeitpunkt in der Vita erlaube. Dies sei gerade für die Schweiz als Einwanderungsland ein wichtiger Hebel zur Mobilisierung von Fachkräften.

Die bildungspolitische Strategie der Schweiz sei auch deshalb so erfolgreich, weil sie ihr Heil nicht allein in einer gleichwertigen Finanzierung der Bildungswege suche. Hübschi verweist vor allem auf die erfolgreiche Zusammenarbeit in der Tripartite Berufsbildungskonferenz, in der neben dem Bund und den Kantonen auch die Organisationen der Arbeitswelt wie Arbeitgeberverband und Gewerkschaftsbund eng eingebunden seien. Dies gewährleiste nicht nur eine hohe Qualität der Lehrpläne, Prüfungen und Abschlüsse, die sich stark an den Bedürfnissen der Praxis orientierten. In Kooperation mit den Wirtschaftsträgern werde auch in der Berufsorientierung an den Schulen ein realistischer, unvoreingenommener Blick auf unterschiedliche Berufe gelenkt, der den Schülerinnen und Schülern eine rationale Entscheidung ermögliche.

Der Verfassungsrang habe, so Hübschi abschließend, in erster Linie zu einer neuen, wertschätzenden Haltung für die berufliche Bildung auf allen Ebenen geführt. Um diese Wertschätzung aufrechtzuerhalten bedürfe es auch zukünftig eines kontinuierlichen Monitorings – von der kommunalen bis zur Bundesebene.